«Jetzt sind es die Russen»
Wagt Russland eine Cyberattacke auf die
Bundestagswahlen? Der deutsche Geheimdienst-Chef ist davon überzeugt.
Ein IT-Sicherheitsexperte sieht das anders.
Der Präsident des deutschen Bundesnachrichtendienstes, Bruno
Kahl, warnt davor, dass Russland bei der Bundestagswahl 2017
Cyberangriffe gegen Deutschland tätigen könnte. Teilen Sie diese Einschätzung?Das ist
absoluter Quatsch. Herr Kahl spricht ja von Stimmungsmache, da müsste
er sich an die eigene Nase fassen. Denn das ist genau das, was er
macht.
Wäre es aber möglich, dass Russland das machen
könnte?Möglich wäre es schon. Es wäre aber auch möglich,
dass die Schweizer, die Amerikaner oder irgendwelche Hacker in
Timbuktu das machen könnten. Ich frage mich allerdings, wie der
Aufgabenbereich eines BND-Chefs definiert ist, dass er ohne Beweise
solche Aussagen tätigen kann.
Was sagen Sie denn dazu, dass die Russen die E-Mails von
Hillary Clintons Wahlkampfhelfer gehackt haben?Dieser
Wahlkampfhelfer hatte ein Passwort, das heute kein Kindergärtner
mehr benutzen würde. Auch hier werden uns aber keine Beweise gegen
die Russen vorgelegt. Es wird einfach etwas behauptet und das passt
dann in eine globale Stimmungsmache. Noch vor ein paar Jahren waren
es stets die Nordkoreaner, dann waren es die Chinesen, und jetzt sind
es die Russen. Offensichtlich ist die Einschätzung von
Cyberbedrohungen immer sehr davon abhängig, wie die politische
Wetterlage ist. Das ist einfach nur noch peinlich.
Warum sind es zurzeit die Russen?Wenn wir die ganzen
militärischen Bewegungen anschauen, befinden wir uns in einer
ähnlichen Situation wie in den 70er-Jahren mit dem Kalten Krieg. Und
was stirbt zuerst im Krieg? Die Wahrheit.
Der BND-Chef spricht von «Störkampagnen». Was versteht man
darunter?Da müssen Sie den Herrn vom BND fragen. Er spricht
nämlich davon, liefert aber keine Erklärungen, was so eine
Störkampagne überhaupt sein soll. Er sagt auch nicht, wie die
Wahlen beeinflusst werden sollen. Für mich gehört das alles in die
Kategorie leeres Geschwätz. Es gibt weder Beweise noch
Anhaltspunkte.
Wie kann ein BND-Chef dann aber solche Aussagen tätigen?Wenn
er so etwas öffentlich behauptet, betrachtet Herr Kahl sein Amt als
politisches Amt. Wenn sich ein BND-Chef selber als Politiker sieht,
ist das für eine Demokratie schlimmer als unzählige Cyberattacken
der Russen.
Gibt es Anzeichen für einen politischen Cyberkrieg?Als
politischen Cyberkrieg verstehe ich, dass man ohne Beweise behauptet,
dass ein Cyberkrieg stattfindet. Und das passiert gerade. Denn was
der BND-Chef hier macht und was die Amerikaner gemacht haben, ist
nichts anderes als ein politischer Cyberkrieg. Sie behaupten etwas,
was mit der Cyberwelt zu tun hat, und bleiben uns sämtliche Beweise
schuldig. Ganz nach dem Motto: Das Volk ist dumm und glaubt uns
sowieso.
Gab es schon Fälle, wo man versucht hat, Schweizer Behörden
zu hacken?Ja, die gibt es. Bei den Fällen, die mir bekannt
sind, geht es um wirtschaftlichen Nachrichtendienst. Das heisst, dass
Informationen von Schweizer Firmen in gross angelegten Angriffen
abgeschätzt wurden. Beim Ruag-Hack wissen wir, dass es die Russen
versucht haben. Wir wissen aber auch,
dass, während die Russen das versucht
haben, und der Schweizer Nachrichtendienst darüber von einem
ausländischen Nachrichtendienst informiert wurde, dieser
offensichtlich schon im Ruag-System drinnen war.
Muss man politisch mehr machen, oder muss man damit leben,
angreifbar zu sein?Grundsätzlich ist es so, dass es
Sicherheit in der IT nicht gibt. Sicherheit in der IT ist ein
Marketingbegriff und nichts anderes. Und wenn wir uns dessen bewusst
sind, müssen wir uns überlegen, welche Daten wir wo und wie
aufbewahren. Solange aber Regierungsstellen nachweislich Geräte
benutzen, die eine Backdoor beinhalten, kann man nicht von Sicherheit
sprechen. Dann muss man sich überlegen, welchen ausländischen
Staaten man den Zugriff gewährt.
Worum handelt es sich bei Backdoors?Wir wussten bereits
vor Snowden, dass es in verschiedenen Hardwares sogenannte Backdoors
gibt, welche den Regierungen erlauben, dort direkt ins System
einzugreifen, respektive den Datenverkehr abzuziehen. Solange sich
unsere Politiker nicht darum kümmern, sollen sie nicht behaupten,
dass irgendein fremder Dienst in ihrem System ist. Denn sie
ermöglichen das selber.
Aber gibt es die Möglichkeit, sich technisch zu schützen?Ja,
die gibt es grundsätzlich schon. Und zwar mit der Überlegung:
Welche Daten speichere ich wo? Wenn ich die Daten nämlich auf einem
Rechner habe, der nicht online ist, wird es sofort schwieriger, an
diese Daten heranzukommen. Wenn man die Daten gut verschlüsselt,
dann hat man auch bei Diebstahl der Daten eine erhöhte Sicherheit.
Diesen Zusatzaufwand muss man aber auf sich nehmen.
(baz.ch/Newsnet)
(Erstellt: 29.11.2016, 16:26 Uhr)