Am 25. Februar bei der LVZ „Wir sind die Guten...“ – Autor Hubert Seipel über Putin und die deutschen Medien
Vom
KGB-Residenten in Dresden zum mächtigsten Mann Russlands. „Der hat mich
interessiert“, antwortet Hubert Seipel (65) auf die Frage, warum er ein
Buch über Wladimir Putin geschrieben hat. Mit „Putin – Innenansichten
der Macht“ kommt Seipel am 25. Februar nach Leipzig und stellt sich im
Hause der LVZ einer Diskussion. Hubert Seipel: „Putin wird als das Übel schlechthin dämonisiert.“ Quelle:
dpa

Herr Seipel, wie tickt denn Putin nun? Ist er der große Böse, den der Westen in ihm gemeinhin immer sieht?
Putin
wird als das Übel schlechthin dämonisiert. Er vertritt als Präsident
die politischen Interessen Russlands, und die unterscheiden sich nun mal
von den Interessen des Westens. Nach den chaotischen Jahren mit Jelzin
nicht gerade ein einfacher Job. Politisch betrachtet, ist Putin
einerseits sehr sicherheitsorientiert. Andererseits versucht er, den
Russen wieder eine Identität zu geben – eine schwierige Balance zwischen
Patriotismus und Nationalismus. Putins Credo: 70 Jahre Sowjetunion –
das war nicht die ganze Geschichte Russlands. Da war viel mehr, auch die
Zarenzeit, und deshalb gibt es auch wieder Ausstellungen über die
Romanows oder eine Stärkung der russisch-orthodoxen Kirche. Und was uns
angeht: Der Mann hat eine große Affinität zu Deutschland – aus seiner
Dresdner Zeit. Und er spricht richtig gut deutsch.
Als
Putin an die Macht kam, war Russland in einer ganz schwierigen Lage.
Wirtschaftskriminelle hatten das Land ausgeplündert und dabei den
Präsidenten, Jelzin, quasi zu einer Marionette degradiert. Hat Putin für
Russland so etwas wie das Primat der Politik zurückerobert, so etwas
wie Staatlichkeit überhaupt wieder hergestellt?
Keine
Frage, das ist so. Unter Jelzin herrschte Raubtierkapitalismus. Namen
wie Beresowski oder Abramowitsch stehen für die Neureichen Russlands.
Sie bereicherten sich maßlos, wurden über Nacht Milliardäre, während die
Masse der Russen jeden Tag neu ums Überleben kämpfte. Der Oligarch
Michail Chordokowski brachte es damals auf die Formel: „Unser Kompass
ist der Profit.“
Die Oligarchen waren es aber auch, die zusammen mit Jelzin Putin an die Macht brachten. Hatten sie ihn unterschätzt?
Sie
hatten gedacht, er sei lediglich ein Verwaltungsfachmann, eine Art
graue Maus, ein Mann, der effizient in ihrem Sinne arbeiten und für sie
die gewinnbringende Privatisierung von Staatsbetrieben weiter
vorantreiben würde. Mit anderen Worten: Keine Gefahr.
Sie
haben sich geirrt, Putin hat relativ schnell Exempel statuiert.
Chordokowski verschwand 2003 für zehn Jahre im Gefängnis. Spielte beim
Durchgreifen à la Putin eine Rolle, dass er vom Geheimdienst kam?
Auch.
Was hat er gemacht, als er an die Macht kam? Es lief wie im wirklichen
Leben: Er hat sich mit Leuten umgeben, die er kannte, auf die er sich
verlassen konnte. Die kamen zum Teil vom KGB, wie zum Beispiel Sergej
Iwanow, der auch bei der Auslandsaufklärung war und heute Chef der
Präsidialadministration ist. Aber Putin holte auch Fachleute aus der
Verwaltung, die er aus seiner Zeit als stellvertretender Bürgermeister
in Petersburg kannte, nachdem er 1990 seinen Job beim Geheimdienst
quittiert hatte.
Aus
der innenpolitischen Stärkung erwuchs auch außenpolitisch ein neues
Selbstbewusstsein. Erst Mittwoch gab die Nato bekannt, dass sie ihre
Truppenpräsenz in Osteuropa ausweiten will – als „Signal“ an Russland.
Putin hat schon 2007 in seiner „Brandrede“ in München die
Nato-Osterweiterung scharf kritisiert.
Das
war eine Warnung – und nicht die erste, die wir nicht verstanden haben
oder nicht verstehen wollten, wie Außenminister Steinmeier später einmal
eingeräumt hat. Erst mal muss man feststellen, dass die Nato das wohl
mächtigste Militärbündnis ist und keine Heilsarmee. Und deshalb ist das
auch eine Kernfrage des neuen Ost-West-Konflikts. Es gibt keinen
schriftlichen Vertrag über die Nichtausdehnung der Nato, aber es hat
mündliche Zusagen und Absprachen gegeben, das schreibe ich auch in
meinem Buch.
Zum Beispiel?
In
einem Vermerk des Auswärtigen Amtes über ein Gespräch von
Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher mit seinem russischen
Kollegen Eduard Schewardnadse vom 10. Februar 1990 heißt es: „BM
(Bundesminister): Uns sei bewusst, dass die Zugehörigkeit eines
vereinten Deutschlands zur Nato komplizierte Fragen aufwerfe. Für uns
stehe aber fest: Die Nato werde sich nicht nach Osten ausdehnen.“ Am 9.
Februar 1990 erklärte US-Außenminister James Baker im Katharinensaal des
Kremls: Die Nato werde ihren Einflussbereich „nicht einen Inch weiter
nach Osten ausdehnen“.
Nato-Osterweiterung, Raketenschild in Polen zur Abwehr des Irans und dann noch die Ukraine. Da war das Maß bei Putin voll.
Der
ehemalige amerikanische Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski hat
bereits 1997 in seinem Buch „Die einzige Weltmacht – Amerikas Strategie
der Vorherrschaft“ präzise den Plan beschrieben, dass die ehemaligen
Sowjetrepubliken – und vor allem die Ukraine – herausgebrochen werden
müssen aus dem Einflussbereich Russlands, damit Moskau geopolitisch
geschwächt wird. Das Rezept Brzezinskis war eindeutig: Erst die
EU-Mitgliedschaft und dann die Nato-Mitgliedschaft für die Ukraine. Dass
Putin beziehungsweise Russland das als endgültige Aufkündigung der
offiziell verkündeten strategischen Partnerschaft mit dem Westen nach
dem Ende der Sowjetunion ansah, kann man sich vorstellen.
Wie sehen Sie Putins Rolle im Syrien-Konflikt?
Ohne
ihn wird es nicht gehen. Wir waren in Genf 2012 schon einmal ganz dicht
an einer Lösung. Damals schaffte es der UN-Vermittler Kofi Annan, für
einen kurzen Moment, alle Beteiligten auf einen Kompromiss
einzuschwören. Eine gemeinsame Übergangsregierung mit Assad, der dann
nach einer bestimmten Zeit zurücktreten würde. Dann aber bestand Hillary
Clinton darauf, dass Assad sofort weg müsse, und die Gespräche
scheiterten. Damals hatten wir 60 000 Tote in Syrien, heute sind es
260 000 Tote und Millionen Flüchtlinge, die auch auf dem Weg nach Europa
sind. Das Ganze ist eine komplizierte Sache: Bei dem Konflikt geht ja
auch um einen Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und Iran, um
den Kampf von Sunniten gegen Schiiten…
Russland verfolgt in dem Konflikt auch eigene Interessen?
Keine Frage. Welcher Politiker tut dies nicht? Alle verfolgen dort eigene Interessen.
Aber
Putin kommt in den deutschen Medien am schlechtesten weg. Er
bombardiert die falschen Leute, so der Vorwurf, er hält am Diktator
Assad fest und ist auch ansonsten uneinsichtig. Warum hat Putin in
Deutschland so eine schlechte Presse?
Seitdem
es Krieg gibt, ist immer der andere schuld daran. Das ist nicht erst
seit dem Kalten Krieg so. Wir sind die Guten, die anderen die Bösen. In
dieser Heftigkeit würden wir nie gegen Obama angehen – ob wegen des
Drohnenkriegs in Afghanistan, der NSA-Affäre oder des alltäglichen
Rassismus, den es in Amerika gibt. Es ist Teil unseres politischen Erbes
aus den Hoch-Zeiten des Ost-West-Konflikts. Diese Haltung haben wir
quasi mit der Muttermilch eingesogen. Und dann haben wir Journalisten
eine spezielle Grundhaltung, und die ist natürlich immer korrekt. Wir
sind durchaus sehr von uns überzeugt und entwickeln dabei oft so eine
Attitüde, als ob wir Ärzte wären und unsere Leser Kranke seien. Denen
verordnen wir dann gern auch gleich das richtige Rezept. Manchmal ist es
besser, nur das darzustellen, was ich belegen kann. Leser oder
Fernsehzuschauer sind nicht doof und können sich durchaus selbst eine
Meinung bilden.
Am
25. Februar ist Seipel um 19 Uhr zu Gast in der LVZ-Kuppel in Leipzig,
Petersteinweg 19, und stellt sich Fragen von Chefredakteur Jan
Emendörfer. Tickets für 19,90 Euro (mit Abo für 17,90) gibt es in allen
LVZ-Geschäftsstellen und unter der Tickethotline: 0800 2181050
Von Jan Emendörfer
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