Rückschau
Ich habe gerochen alle Gerüche
In dieser holden Erdenküche;
Was man genießen kann in der Welt,
Das hab ich genossen wie je ein Held!
Hab` Kaffee getrunken, hab` Kuchen gegessen,
Hab` manche schöne Puppe besessen;
Trug seid`ne Westen, den feinsten Frack,
Mir klingelten auch Dukaten im Sack.
Wie Gellert ritt ich auf hohem Ross;
Ich hatte ein Haus, ich hatte ein Schloss.
Ich lag auf der grünen Wiese des Glücks,
Die Sonne grüßte goldigsten Blicks;
Ein Lorbeerkranz umschloss die Stirn,
Er duftete Träume mir ins Gehirn,
Träume von Rosen und ewigem Mai —
Es ward mir so selig zu Sinne dabei,
So dämmersüchtig, so sterbefaul —
Mir flogen gebrat`ne Tauben ins Maul,
Und Englein kamen, und aus den Taschen
Sie zogen hervor Champagnerflaschen —
Das waren Visionen, Seifenblasen —
Sie platzten - Jetzt lieg` ich auf feuchtem Rasen,
Die Glieder sind mir rheumatisch gelähmt,
Und meine Seele ist tief beschämt.
Ach jede Lust, ach jeden Genuss
Hab ich erkauft durch herben Verdruss;
Ich ward getränkt mit Bitternissen
Und grausam von den Wanzen gebissen;
Ich ward bedrängt von schwarzen Sorgen,
Ich musste lügen, ich musste borgen
Bei reichen Buben und alten Vetteln —
Ich glaube sogar, ich musste betteln.
Jetzt bin ich müd` vom Rennen und Laufen,
Jetzt will ich mich im Grabe verschnaufen.
Lebt wohl! Dort oben, ihr christlichen Brüder,
Ja, das versteht sich, dort seh`n wir uns wieder.
Heinrich Heine, 1797-1856
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